Leukämie ist Scheiße! Teil 8

„The Beat Shit Goes On“ (Sonny & Cher, 1967)

IMG-20160224-WA0001Seit 25.1. auf Heimaturlaub daheim gewesen, heißt es am 3.2. in der Früh wieder die restlichen Sachen zusammenpacken, die im Spital gebraucht werden und das ist gar nicht wenig. Gegen 9h45 sind wir startklar und finden in der Lazarettgasse einen Parkplatz.
Es ist kurz nach zehn als mein Handy läutet – unbekannter Teilnehmer. Als ich die beste Sissi von allen fragend anschaue, meint sie: „Na heb halt ab, vielleicht ist es wichtig“. Es ist wichtig. Station 18I ist am Telefon und will wissen, ob ich heute noch erscheinen werde. Na klar werde ich, bin ja schon so gut wie da – immerhin freue ich mich über die Nachfrage. Oben angekommen ist Zimmer 601 schon bereit, Namensschilder auf Eingangstüre, Bett und Kasten. Rudi D. ist wieder mein Zimmerkollege, wir begrüßen einander wie alte Freunde. Er hat offensichtlich erfolgreich lobbyiert, mich wieder als Zimmergenossen zu haben. Ich fühle mich geehrt.
Die erste Schwester die ich treffe kenne ich bereits und teile ihr wie beiläufig mit, dass ich auf die Sonderkasse verzichte, weil die damit verbundenen Benefizien ihr Geld bei weitem nicht wert sind. Sie versteht das gut und wird es der Stationsadministratorin und der Schwester Oberin mitteilen.
Wenig später erfahre ich, dass sich die Freude über meine Entscheidung in Grenzen hält, da gewisse Formalitäten und die Namenspickerl neu gemacht werden müssen. Ich möge gewärtig sein, gegebenenfalls in ein Dreibettzimmer umgelegt zu werden. Na gut, soll sein. Daran glauben tu ich vorerst eh nicht.
Sissi ist noch da, als Professor Sillaber die Visite abnimmt. Morgen darf ich wieder ein Stück Knochen und das dazugehörende Mark aus der Hüfte spenden, dessen Analyse für die weitere Chemotherapie maßgeblich sein wird, mit der voraussichtlich am 6.2. begonnen wird.
Auf den von mir gewünschten, unter der Haut transplantierten, permanenten Ven-Flo (Port-A-Cath) angesprochen meint er, ein solcher sei bei Leukämie nicht zielführen und nicht notwendig, weil ich sowieso „der Venenkönig“ sei, wie er es ausdrückt. Der begleitende junge Arzt mit den roten Haaren ergänzt, dass es durch die Blutzirkulation leicht zu Bedrohungen durch Entzündungen oder sogar Infektionen kommen könne, vermeidbare Risiken die es hintanzuhalten gilt. Womit das auch besprochen ist.

Tags darauf erscheint Dr. Schulenburg recht zeitig und wird die Punktion durchführen; ob ich eine Kurznarkose will oder ob lokale Betäubung ausreicht? Tapfer wie weiland Winnetou entscheide ich mich für letzteres. Durch die Analyse des Knochenmarks und des Knochenstücks selbst kann festgestellt werden, ob ich noch garstige Zellen im Blut habe, was ich nicht hoffe. Das Prozedere kommt mir unangenehmer vor als beim letzten Mal, aber es ist auszuhalten. Besonders das Absaugen des Marks spüre ich bis zur Ferse. Das Ergebnis der Markuntersuchung werde morgen verfügbar sein, die Knochenuntersuchung wird länger dauern.
Am nächsten Tag nach der Visite kommt Dr. Schulenburg noch einmal zurück und bringt die frohe Botschaft: das Ergebnis sei negativ, morgen können wir mit der Chemo fortfahren. Befund negativ, das heißt für mich positiv, keine bösen Zellen mehr feststellbar. Gleich rufe ich Sissi an und sehe vor meinem geistigen Auge ihren Luftsprung.
Ein mir noch nicht bekannter Arzt kommt am Samstag, setzt einen Ven-Flo und schließt die Chemo an, zunächst einen kleinen Beutel mit ungefähr einem halben Liter von der stärkeren Sorte, der bald erledigt ist. Danach kommt ein größerer Plastikbehälter dran, für dessen Leerung vier Stunden veranschlagt sind und der rasch angeschlossen wird. Vor mich hindösend verspüre ich Feuchtigkeit nahe dem linken Handgelenk, wo sich der Ven-Flo befindet; auf dem Leintuch ist ein nasser, blassroter Fleck zu sehen. Fast gleichzeitig drücke ich die Stopptaste und den Schwesternruf. Prompt erscheint Pflegerbruder Zeljko, ein erfahrener Mann, und hat einen Riesenbehälter voller Plastikzeug bei sich, das sich als Ganzkörperanzug mit Haube entpuppt, den er unverzüglich anlegt, dazu hochreichende rapidgrüne Handschuhe, Mundschutz und eine riesige Brille. In diesem Habitus erinnert er mich an meine Zeit als Luftschutzpionier in den frühen sechziger Jahren, als die ABC (Atomical, Biological, Chemical Weapons) Beauftragten ähnlich gewandet waren und mich schon damals zum Schmunzeln brachten. Ob der Feuchtigkeitsaustritt wirklich eine unmittelbare Bedrohung für Dritte darstellt oder das Ganzkörperkondom einfach als Prophylaxe vorgeschrieben ist, habe ich nicht erfahren, jedenfalls schaut Zeljko gschnasverdächtig aus. Er entfernt den Ven-Flo und stellt erleichtert fest, dass keine Flüssigkeit neben der Vene in Haut oder Muskeln eingedrungen ist. Ob Flüssigkeit auf meiner Kleidung gelandet sei, will er wissen, und als ich dies verneine bittet er mich, ihm das Bett zu überlassen, wozu ich gerne bereit bin, weil ich eh eine schmauchen gehen will.
Als ich zurückkomme, ist das Bett frisch überzogen und ich kriege einen neuen Ven-Flo samt restlicher Chemosubstanz verpasst. Der wird hoffentlich dicht sein und bis zum Ende der Infusion halten, die mittlerweile erst nach High Noon fertig sein wird.
Zu Mittag esse ich bewusst wenig, falls mir schlecht wird. Es wird mir schlecht, und ich verabschiede mich von dem Wenigen in zwei Tranchen, zum Glück jedes Mal in Reichweite einer geeigneten Kotzmuschel. Von einer Schwester bekomme ich eine Tablette zum Lutschen, die hilft überhaupt nichts, danach eine Injektion, nach der mir gleich besser wird.
Die Chemo am folgenden Tag vertrage ich ausgezeichnet ohne Kollateralschäden, da hätte ich glatt zu Mittag ein bissl mehr essen können, aber wer weiß? Das Abendessen ist sehr überschaubar, also müssen noch eine Banane, ein Nöm-Mix, ein paar Mannerschnitten und ein Krapfen dran glauben.
An den Folgetagen bekomme ich zusätzlich eine Cortisontablette und mir wird nicht mehr schlecht. Allerdings fehlt mir auch die Müdigkeit, über die Viele nach der Chemo klagen. Schade, denn ich kann auch nächtens nicht einschlafen und schlucke ausnahmsweise Schlaftabletten.
Am Mittwoch findet die letzte Giftinfusion statt und ich vernehme mit Freude, dass ich am Donnerstag für eine Kurzbeurlaubung nach Hause darf und mich am Montag dem 15.2. bis neun Uhr wieder einfinden soll. Ehe ich mich auf den Weg mache, bekomme ich noch 600ml Blut transfundiert, damit ich daheim „eine Kraft hab‘“, wie Professor Sperr sagt, der mit einer zehnköpfigen Truppe die Visite abnimmt. Nach meiner Rückkehr kommt keine Chemo mehr, es wird nur beobachtet, wie sich mein Blut wieder degeneriert. 14 Tage lang darf ich mich dann fadisieren, so Sperr, der natürlich keine Ahnung hat, dass ich Langeweile kaum kenne und mir nur dann die Zeit vertreibe, wenn mich die Umstände dazu zwingen.

 

Der oben erwähnte Titel im Original:
Sonny & Cher – The Beat Goes On, 1967

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3 Kommentare

  1. Lieber Werner! Die Daumen sind schon ganz blau vom fest drücken! Ohrli steiff halten! Nicht unterkriegen lassen! Du schaffst das!!!!
    Ganz dickes Bussi und eine grosse Umarmung aus Deiner Ex-Heimat!

  2. Hallo Werner ! Ich hoffe, es geht Dir – soweit das halt möglich ist – gut. Ich fahre morgen nach Polen – Konzert mit einem Gospelchor in Breslau, aber wenn ich wieder zurück bin, melde ich mich wieder mal telefonisch. Alles Gute und LG, Arthur

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