Leukämie ist Scheiße! Teil 4

„Denn erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt“…

… dieser häufig missbrauchte Stehsatz bekommt eine neue Facette, wenn man so wie ich völlig unvorbereitet im Spital landet.
Alles Wichtige, alles Dringende ist zur Nebensache degradiert, manches sogar vergessen. Die beste Sissi von allen wird’s schon erledigen…und sie erledigt. Danke! Ein paar Kleinigkeiten telefonisch akkordiert, und schon ist meine ToDo-Blase zerplatzt, pulverisiert, ins Nirwana gebeamt.
Der Begriff „Zeit“ bekommt neue Dimensionen. Vier Wochen sind für den ersten Chemo-Durchgang vorgesehen, danach einige Tage „Heimaturlaub“, ehe der zweite beginnt; insgesamt sind fünf mal vier Wochen die Regel, allerdings nur dann, wenn keine Komplikationen auftreten, ansonsten kann’s auch länger dauern. Es wird also der Sommer ins Land gezogen sein, bis ich in „häusliche Pflege“ entlassen werden kann, mit nachfolgenden Kontrolluntersuchungen in mir noch nicht bekannten Abständen. Es drängt sich mir die Frage auf, was dieser tepperten Zelle in meinem Blut bloß eingefallen ist, sich derart grauslich zu „entarten“.

Eines der schwachsinnigsten Wörter, die ich kenne, heißt „Zeitvertreib“. Zeit kann, muss, darf man nicht vertreiben, verjagen, verscheuchen – sie verstreicht ganz von selbst, freiwillig, Tag für Tag, Minute für Minute, genützt oder vergeudet, unaufhaltsam, gnadenlos.
Hier im AKH gilt dies nur bedingt, die Umstände zwingen mich oft zur Untätigkeit, sei es wegen medizinischer Notwendigkeiten oder wegen deren Folgen in Form mentaler und/oder körperlicher Beeinträchtigung.
Die ersten Tage des neuen Jahres vergehen rasch mit noch kaum merklichen Reaktionen auf die Therapie. Es kommen viele Besucher – die ganze Familie sowieso, aber auch liebe Freunde, zum Teil unerwartet. Noch habe ich ein fast intaktes Immunsystem, das sich nach der achten Chemo in Folge der „Zertrümmerung“ meines Blutbildes verabschiedet haben wird.
Meine Verdauung dümpelt lustlos herum und verweigert die Finalisierung – Laevolac hilft. Dass sich mein Magen ob der vielen zu schluckenden Medikamente beschwert, darf mich nicht wundern – Pantoloc hilft. Schlafen geht ganz gut, obwohl ich das angebotene Schlafmittel bewusst verweigere; dass ich nächtens mindestens einmal den gefliesten Nebenraum aufsuchen muss, habe ich den Erfordernissen des Stoffwechsels zu verdanken.
Appetit habe ich wenig, die angebotenen Mahlzeiten schaffe ich nur zum Teil, und das hat nicht nur mit deren Qualität zu tun.

Weil wir uns ja noch innerhalb der „Feiertage“ befinden, findet die tägliche Visite fast immer unter der Ägide eines anderen diensthabenden Arztes statt – die müssen sich gegenseitig vertreten. Dennoch sind sie alle auf Grund der Aufzeichnungen gut informiert, die rückläufigen Werte des Blutbildes seien „lehrbuchmäßig“, es werden Bluttransfusionen notwendig werden.
Am 7. Jänner findet die letzte Chemoinfusion statt. Professor Jäger meint, ich würde nach ein paar Tagen Fieber bekommen. Dies sei zu 80% eine Konsequenz der Therapie, und zu 20% eine Infektion – ich werde mich der Mehrheit anschließen. Außerdem seien dann meine Abwehrkräfte so gut wie nicht vorhanden, ich möge die Menschenansammlungen in der Ebene fünf (Hauptausgang Gürtel) meiden.
Abgesehen von Apathie und Antriebslosigkeit geht es mir psychisch nicht so schlecht;
physisch nimmt meine Leistungsfähigkeit im Tagesverlauf ab – offenbar stellt da jemand den Schwerkraftregler höher, weil ich die Füße gar so schlecht vom Boden wegbekomme.

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