Dieses Doppelalbum gehört zu meinen allerersten Langspielplatten… Amadeo AVRS 9014/15
Immer und immer wieder hatte ich das Portraitfoto Count Basie’s angeschaut, das in der Auslage eines kleinen Elektrogeschäfts prangte. Man schrieb das Jahr 1960, und ich verdiente mir in den Sommerferien bei einer lokalen Baufirma als „Ferialpraktikant“ ein paar Schilling. Mit einem für die Schule brauchbaren Praktikum hatte das nichts zu tun, in Wirklichkeit war ich ein schlecht bezahlter Hilfsarbeiter.
Der Weg zur Baustelle, an der ich schuften musste, führte mich täglich an diesem Geschäft vorbei, das eigentlich ein Elektroramschladen war, wo neben Steckdosen, Schaltern, Lusterklemmen, Bügeleisen und anderen nützlichen Sachen auch Schallplatten feilgeboten wurden. Also schaute ich Herrn Basie jeden Wochentag schallplattenlüstern ins Auge, wohl wissend, dass der Erwerb einer LP die Hälfte eines sauer verdienten Wochenlohns verschlingen würde.
Es blieb also geraume Zeit beim Vorbeigehen, bis ich mir an einem Freitagnachmittag auf dem Heimweg ein Herz nahm und zögerlich eintrat. 320 Schilling hatte ich wieder im Lohnsackerl vorgefunden, mehr war es auch an den vergangenen Freitagen nicht gewesen. Die Hälfte davon war ich bereit zu investieren, und genau so viel kostete damals eine Langspielplatte, mono wohlgemerkt, stereo würde 180 Schilling kosten. Naiv wie ich war ging ich davon aus, dass Plattengeschäfte wohl sortiert sein würden, und erkundigte mich nach Tonträgern Basie’s. „Bitte wos wüst du?“, fragte mich die mürrisch dreinschauende, ältliche Verkäuferin, wohl auch die Inhaberin des Geschäfts. „Schallplatten von Count Basie“ entgegnete ich zaghaft. „Von wem? Kaunt Besi? Wer is des? Den kenn i net!“ „Das ist der, von dem Sie ein Portraitfoto in der Auslage stehen haben“. „Ah der! Na, von den bladen Neger hob i nix“. Einerseits enttäuscht, andererseits erleichtert wollte ich mich schon zur Türe hin umdrehen, als mir im schwach bestückten Regal der Rücken einer Box ins Auge sprang. „Spirituals to Swing“ konnte ich erkennen, und ich bat, mir das Ding anschauen zu dürfen. Madame machte keinen besonders erfreuten Eindruck, offenbar konnte sie sich nicht vorstellen, dass irgendjemand ausgerechnet daran Interesse haben könnte, wo sie doch großartige Scheiben etwa von Peter Alexander, Vico Torriani oder Catarina Valente lagernd hatte. Zögerlich nahm sie das Gewünschte aus der Stellage und legte es vor mir auf den Tresen. „John Hammond’s Spirituals to Swing, the Legendary Carnegie Hall Concerts of 1938/9“ war zu lesen, und dazu auf dem Deckel viele Namen, von denen mir damals nur einige ein Begriff waren, darunter natürlich auch das „Count Basie Original Orchestra“. Die nette Dame hatte also doch etwas „von den bladen Neger“, nur war sie völlig ahnungslos.
Die Schachtel aufklappend fand ich zunächst vier Seiten Linernotes und dahinter zwei Langspielplatten in genähten(!) Innenhüllen vor. Viel Zeit zum Studieren der Infoblätter hatte ich nicht, weil die Verkäuferin immer ungeduldiger wurde und dies mit immer finsterer werdendem Geschau deutlich signalisierte. Wahrscheinlich konnte sie sich kaum vorstellen, dass ein junger Mensch wie ich ihre Kassa zum Klingeln bringen würde. Tatsächlich war ich schwer am Wanken – einerseits würde mich der Kauf des Doppelalbums 320 Schilling kosten, also einen ganzen Wochenlohn schwerer Frohn, andererseits musste ich es allein schon wegen Basie haben. Als ich dann noch „Cavalcade of Boogie“ mit Ammons, Johnson und Lewis las wurde ich endgültig schwach und schlug zu. An den Aufschrei meiner Eltern dachte ich zu jenem Zeitpunkt nicht, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würden sie mich als übergeschnappt bezeichnen. Mit spitzen Fingern legte ich das Geld hin, um einen Preisnachlass traute ich mich nicht zu fragen. Weil ein geeignetes Sackerl scheinbar nicht zur Verfügung stand, nahm ich die Kostbarkeit unter den Arm und ging eilig heim.
NB: Detaillierte Informationen über die legendären „Spirituals to Swing“ Konzertmitschnitte finden sich im Internet, z.B. Wikipedia und im Booklet der 3CD-Box Vanguard 169/71 aus 1999, die vielleicht noch erhältlich ist. Es besteht also keine Notwendigkeit, mich über Inhalte zu verbreitern; ein paar persönliche Anmerkungen werde ich später niederschreiben.
Bis demnächst… herzlichst, Werner Simon