„… woa i do scho?“
Am 3. Mai ist wieder ein Zyklus Vidaza zu Ende und ohne größere Schäden überstanden. Zur Stabilisierung bekomme ich einen Tag später nochmals Erys und Thrombos infundiert, damit sind Blutdruck und Puls am Freitag 5. Mai ganz ok.
Für diesen Tag war mit unserem Autohändler Orthuber in Langenwang der erste Reifenwechsel am neuen Yeti ausgemacht, der ja mit den alten Winterreifen bestückt ausgeliefert worden war. Die beste Sissi von allen hatte vorgeschlagen, ihren Vater mitzunehmen – der Ausflug würde ihm sicher gefallen, zumal Gefährtin Lena wieder in Attnang weilte und er allein war. Um 11 Uhr sollten wir eintreffen, was wir fast schafften, jedenfalls blieben wir im akademischen Viertel. Norbert-Opas „woa i do scho? I glaub, do woa i scho“ sollte uns bis zum Ende des Rädertausches nicht verlassen. Tatsächlich hatte er in den sechziger Jahren einen VW Käfer besessen und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass er mit diesem schon damals einmal die Dienste der Firma Orthuber in Anspruch genommen hatte (die damals allerdings noch nicht in Langenwang sondern in Mürzzuschlag ansässig war).
Nach einem kurzen Spaziergang entlang der Mürz und zurück konnten wir das Auto auch schon wieder übernehmen und fuhren in Richtung Mürzsteg, unsere „zweite Heimat“, wo unsere befreundete Familie Petrovic zu Hause ist. Zwar war Karolina in der Arbeit, aber Mile war zu Hause und hatte uns zum Mittagessen eingeladen. Unterwegs passierten wir Neuberg, in dessen Münster eine legendäre Glasbläserei beheimatet ist, die viele kunstvolle Gegenstände herstellt. Sissi wollte ein paar Bewässerungskugeln für unseren Garten kaufen – hübsche Kugeln an Rohren, die, in Blumentöpfe gesteckt, das zuvor eingefüllte Wasser in kleinen Dosen abgeben. Norbert-Opa sah sich interessiert um, nicht ohne zu fragen, ob er hier schon einmal war (ungeklärt). Außerdem stellte er mehrmals fest, dass es in der Nähe des Ofens heiß ist (stimmt).
In Mürzsteg wartete unser Freund Mile schon mit dem Mittagessen auf uns – es gab Gulasch mit Serviettenknödeln, wie immer sehr fein und perfekt zubereitet! Danach wurden beim Kaffee Neuigkeiten ausgetauscht; wie immer gab es einiges zu berichten und bereden. Erst um sieben Uhr am Abend wollten wir Karolina in Mürzzuschlag treffen, nachdem diese mit der Arbeit fertig war. Es war also genug Zeit für einen Spaziergang zum Friedhof, wo wir jedes Mal das Grab unseres verstorbenen serbischen Freundes Milan Vukotic besuchen.
Milan, seines Zeichens unter anderem Maler, Schriftsteller, Theaterregisseur, Philosoph und Visionär, war 2007 zur Unzeit überraschend verstorben, also jetzt schon vor zehn Jahren. Leider hatte er nicht gesund gelebt – seine Alkoholiker-Karriere hatte er zwar längst beendet, war aber ein starker Dunhill-Raucher, übergewichtig und bewegungsscheu. Gelebt hatte er, seit wir ihn kannten, auf dem Appelhof in Mürzsteg, dem Kinder- und Familienhotel, wo wir jahrelang mehrmals jährlich waren, seit Reginas drittem und Erik erstem Lebensjahr.
Viele Freundschaften wurden geschlossen, manche halten bis heute. Alle Kinder waren von der Person Milan fasziniert, dessen regelmäßige Kinderprogramme unterschiedlicher Art fixer Bestandteil jeden Aufenthalts dort waren. Ich habe nie wieder jemanden kennen gelernt, der Menschen ALLER Altersstufen, also auch uns derart in seinen Bann ziehen, ja prägen konnte wie er. Wie immer rauchte Sissi eine Zigarette am Grab unseres großen Freundes zu seinem Gedenken; ich musste in meiner Eigenschaft als „Neo-Nichtraucher“ verzichten.
Zurück zum Haus Petrovic führte uns der Weg durch das Gelände des Appelhofs. Viele Erinnerungen wurden wach, vieles ist unverändert geblieben. Keines der Gebäude haben wir betreten, weil wir rechtzeitig zurück sein wollten und langsam in Zeitnot gerieten. Norbert-Opas Frage, ob er denn hier schon einmal war, konnten wir diesmal eindeutig bejahen – vielleicht wurden wir deshalb kein zweites Mal danach gefragt?!
Bald verabschiedeten wir uns von Mile und fuhren nach Mürzzuschlag, um Karolina zu treffen.
Alsbald saßen wir in einem Pub beim Hauptplatz zusammen; beider Sohn Aleksandar war gerade aus Graz zurückgekehrt und auch dabei. Es wurde über dies und das geredet – es gibt viel zu berichten, wenn man sich leider nur mehr selten trifft. Neben Small Talk gab es auch Konkretes: Karoline erzählte über weitere geplante Therapien nach ihrem Schlaganfall im Alter von vierzig (!) vor einigen Jahren und über ihren Weingarten in Kroatien, der mittlerweile zu einem Obstgarten mutiert ist.
Eriks Freund Aleksandar ließ uns einiges über sein IT-Studium in Graz wissen, das mit vielen Hürden gesegnet ist, Sissi gab Neuigkeiten aus der Familie bekannt, wenig Erfreuliches über verschiedene Krankheitsgeschichten, aber auch Positives über Enkelin Mona.
Ich selbst übte mich in nobler Zurückhaltung, Norbert-Opa wollte wissen, ob er hier schon einmal war…
Die Zeit war wie im Flug vergangen, die Uhr zeigte schon halb neun, wir hatten noch eine gute Stunde Heimfahrt vor uns, also drängte ich zum Aufbruch. Die Straßen waren angenehm schwach befahren – obwohl wir Sissis Vater noch nach Hause fuhren, waren wir schon weit vor elf daheim… er hatte einen lustigen, abwechslungsreichen Tag gehabt – von dem er morgen sicher nichts mehr weiß.