Im dritten Stock des Hauses, in dem wir wohnen, lebt seit geraumer Zeit ein Arzt mit seiner Familie. Es heißt, er sei praktischer Arzt, aber dagegen habe ich was, weil ich noch nie von einem unpraktischen gehört habe, höchstens von einen emeritierten oder in Pension befindlichen, aber das ist eine andere Geschichte.
Besagter Doktor der Allgemeinmedizin ist ein streitbarer Mann, der unsere Hausverwaltung bei einigen Eigentümerversammlungen hat recht alt aussehen lassen und sehr aktiv mitgeholfen hat, Anliegen der Hausbewohner durchzusetzen. Aber das ist auch eine andere Geschichte.
Worauf ich hinaus will: der Streitbare hat einen Hund, so etwas wie einen Riesenschnauzer, dessen Barttracht der seines Besitzers nicht unähnlich ist. So wie sein Gebieter ist auch dieses rabenschwarze Tier sehr streitbar, um nicht zu sagen aggressiv. Es geht grundsätzlich auf alles los, was sich bewegt, folgt aber seinem Herrn und auch dessen Angehörigen brav und scheint wohlerzogen zu sein. Er könne aber niemandem empfehlen, seine Wohnung ungeladen zu betreten, der Hund würde dafür kein Verständnis haben und er könne für nichts garantieren, sagte mir der Herr Doktor einmal.
Warum ich das niederschreibe? Besagter Hund heißt, und jetzt kommts: er heißt Othello (nach Shakespeare) oder vielleicht auch Otello (nach Verdi) – so genau braucht man’s nicht nehmen. Dazu erwähnt sei, dass wir den Namen dieses vierbeinigen Mitbewohners bis dato nicht gewusst hatten…
Unser Jago (auch nach Shakespeare oder Verdi), der erst viel später als Ot(h)ello zum Hausbewohner geworden ist, geht auf andere Hunde grundsätzlich freundlich zu, besonders auf größere; die kleinen Kläffer hat er nicht so gern. Mit manchen Artgenossen spielt er freudig, viele andere interessieren ihn überhaupt nicht.
Glücklicher Weise findet das Gassigehen oft zu verschiedenen Zeiten statt; dennoch ist es passiert, dass sich die beiden Hunde begegnet sind. Ot(h)ello kam eines Tages mit einem Jungfrauerl die Stiegen herunter, als ich gerade mit Jago die Wohnung verließ. Der ging schwanzwedelnd auf den vermeintlichen Spielgefährten zu, weil er ihn ja noch nicht kannte, ihm zuvor noch nicht begegnet war, und weil er als großer Hund Begrüßung verdiente. Hätte er besser bleibenlassen sollen – das schwarze Ungeheuer versuchte sofort, auf ihn los zu gehen, konnte sich aber nur bis auf Leinenlänge nähern. Auf das Kommando „keinen Ton“ seiner Führerin gehorchte er brav und trabte mit ihr weiter die Stiegen hinunter. Jago blieb verstört mit eingezogenem Schwanz an meiner Seite stehen und sah mich ratlos an. Nach ein paar Minuten schien er die Sache vergessen zu haben, und wir gingen wie immer in den Park, wo auch Ot(h)ello seine Runden drehte. Genähert haben wir uns nicht mehr, immer vorsichtig Ausschau haltend, wo sich der als Feind geoutete gerade befand.
Aus der Wohnung gehe ich seither im Sinne der Kollisionsvermeidung immer vor Jago.
Um die Sache abzurunden, werde ich einen unserer Goldfische Desdemona taufen; hoffentlich erwische ich einen weiblichen.