Epilog
Die Rede für Werners Verabschiedung am 31.01.2018
Verfasst von Regina Simon, bei der Verabschiedung gesprochen von Regina und Erik Simon
Musik-Fanatiker, Ruhepol, Situationskomiker – so kann man unseren Papa beschreiben. Ich möchte heute ein paar Geschichten von ihm erzählen. Denn Geschichten helfen gegen die Traurigkeit und lassen Werner in uns lebendig bleiben.
„Ich bin wahrscheinlich das Produkt einer kalten Bombennacht“, sagte mein Papa öfters. Geboren 1944 in Reutlingen, Deutschland, ist er erst mit 4 Jahren mit seinen Eltern, einer Schwäbin und einem Ur-Wiener nach Wien gezogen.
Dort wurde er im Laufe seiner Jugend zu einem echten Wiener. Dialekt, trockener, teils schwarzer Humor, gehörten zu ihm, wie seine Vorliebe für „a Haße“ beim Würschtelstand – die gönnte er sich bis zuletzt. Seine letzten selbständigen Ausflüge hatten diese zum Ziel, wenn es ihm nach den Routine-Untersuchungen im AKH gut genug ging. Das waren seine kleinen Freuden.
Was ihm zum Wiener-Sein vielleicht noch fehlte, war das Grantige. Grantig wurde er sehr selten. Dafür steckte vielleicht doch noch zu viel Schwabe in ihm.
Er liebte die Musik, seinen Blues.
In seiner Jugend versuchte unser lieber Opa ihm ein paar Töne am Akkordeon beizubringen, verordnete ihm Unterricht. Daraus wurde aber nichts, bzw. nicht viel. Musikalisch war er trotzdem und so professionalisierte er das „Zuhören“. Wenn sich jemand verspielte, entging ihm das sicherlich nicht.
Sissi, Erik und ich, wir sind uns einig: Wenn der Papa doch ein Instrument gespielt hätte, dann wahrscheinlich die Triangel. Nicht, weil wir ihm nicht mehr zugetraut hätten, sondern weil er da seine größte Stärke einsetzen hätte können: aufmerksam lauschen, den richtigen Moment abwarten und dann schlagfertig den Ton angeben.
Das konnte er auch in Gesprächsrunden. Schlagfertig, aus dem Nichts, seinen, auch einmal „scharfen“ Senf dazugeben – immer einen Spruch parat. Mit trockenem, manchmal sogar schwarzen Humor, wie ihn nur ein echter Werner (Wiener) zum Ausdruck bringen kann. Immer wieder auch auf Kosten einer anwesenden Person, dabei allerdings nie auf gemeine oder verletzende Art, sondern eben immer mit gefühlvollem Witz und viel Charme.
Nur wenige können Dinge so gut „durch die Blume“ sagen, wie mein Papa es konnte.
Ein ungleiches Team – das waren Werner und die “besten Sissi von allen“, wie er immer sagte.
Die hyperaktive, temperamentvolle Mama mit meinem gemütlichen Papa, der es kaum etwas so genoss wie in Ruhe bei Kaffee und Zigarette einfach nur da zu sitzen („ohne Mantel“, wie er gerne Loriot zitierte). Während die Mama mit dem Kaffee-Häferl in der Hand durch die Wohnung geht und zwischendurch drei Telefonate führt. Irgendwie hielt sich so aber die Balance.
Der Papa hat auch erzählt, dass er, damals jahrzehntelang Chef in einer Filiale, in die höhere Führungsebene der Bank Austria aufsteigen hätte können. Das lehnte er aber ab – so blieb er mehr als 30 Dienstjahre Filialleiter. Er war überzeugt: jeder weitere Schritt nach oben, bedeutet einen Verlust an Lebensqualität. Und die war für ihn unbezahlbar.
Sein einziger Wunsch, die Leitung der Filiale in der UNO City zu übernehmen blieb leider unerfüllt – diese Stelle wäre seiner Neigung zum Kosmopolit, seiner Toleranz und seinen Sprachenkenntnissen sehr entgegengekommen.
Den 1. Tag seiner Pension am 1. April 2005 feierten wir in einem kleinen Fischerdorf im Nordosten Brasiliens, nahe dem Äquator. Wir flogen mit der Mama nach einer Woche wieder heim – der Papa blieb noch über 5 Wochen um Einheimische in Englisch und Deutsch zu unterrichten und nebenbei die neue Freiheit zu genießen.
Werner war die Ruhe in Person. Was aber wenige wissen: er hatte auch einen wilden Hund in sich, den er auf Reisen manchmal von der Leine ließ. Wahrscheinlich sind deswegen die meisten prägenden Erinnerungen von Sissi, Erik und mir mit Reisen verbunden.
Bei unserer großen Amerikareise im Jahr 2005, es war auf der Autobahn vor San Francisco, irgendwo in der Provinz, unser Mietauto war ein schnelleres, agileres, als unseres in Wien. Das machte meinem Papa, trotz seines sonst gediegenen Fahrstils, viel Spaß. Plötzlich Sirenen und Blaulicht hinter uns. Der Sheriff, ein ländlicher Mensch, wollte ganz offensichtlich, dass wir anhielten. Beim Spurenwechsel nach rechts drehte sich der Papa zu uns um und sagte: „So, also, wir sprechen natürlich alle überhaaauuupt kein Englisch, gell?!“. Und er zog die Aktion durch. Als ihn der Polizist durch das heruntergelassene Autofenster zur Rede stellte, antwortete der Papa, natürlich Deutsch: „Ähm, entschuldigen Sie bitte, würden Sie so lieb sein und Deutsch mit uns sprechen? Wir kommen nämlich aus Österreich“.
Die Mama hat sich von da an auf die Lippen gebissen, versuchte ernst zu bleiben, wir Kinder hinten auf den Daumen. Aber wir hielten ohne Lachen durch und die Scharade funktionierte, vielleicht auch Dank des rosa Waschlappens, der ein Führerschein sein sollte. Der etwas ratlose Sheriff erklärte noch in Zeichensprache, dass der Papa bitte nicht andere Autos schneiden soll, und ließ uns ohne Strafe weiterfahren.
Ein anderes Mal, auf der Route 66, zog es ihn fast schon in die Illegalität. Auf einem Autofriedhof voller Cadillacs montierte er sich einfach ein Kennzeichen als Andenken ab. Davor befahl er der Mama sogar noch, sie solle „Schmiere stehen“. Auf solche Ideen wäre er im Wiener Alltag nie gekommen.
Natürlich hatte auch er Schwächen. Gerne wählte er den Weg des geringsten Widerstands, mit der Selbstdisziplin war es schwer. Und er konnte nicht Nein sagen. Eine Katze? Kam für ihn nicht in Frage. 11 Jahre war Theo dann bei uns. Und dann ein Hund? Sicherlich nicht. Unvergessen wird mir seine Ansprache im Vorzimmer bleiben, als wir zum Tierschutzverein aufgebrochen sind. So zornig wie er nur konnte sagte er: „Ich möchte feststellen, dass die Anschaffung eines Hundes gegen meinen Willen erfolgt und ich auf das Schärfste protestiere. Ich übernehme keinerlei Verantwortung für dieses Tier, ich will damit nichts zu tun haben, geht mich nichts an!“. Jaja Papa…. Bald war der Jago dein „Burschi“ für den du immer ein „Schmankerl“ (keine Leckerlis) übrig hattest. Und 2 Jahre später warst DU es, der uns den zweiten Hund, die Emma beschert hat – deine große Verehrerin. Jetzt sucht sie dich jedes Mal, wenn sie in der Schönburgstraße ankommt.
Auch in weniger entscheidenden Situationen, wollte Werner es immer allen angenehm machen. Er hat immer auf die anderen geschaut, alle sollten sich wohl fühlen. „Mag noch wer einen Kaffee?“, „Ich hol euch noch eine Flasche Sekt.“, „Magst eine Zigarette für „Erwachsene“?“. Irgendwie ließ ihn sein großes Herz damit nicht in Ruh.
Auch jetzt im Spital nicht. Es gab in den 2 Jahren nur 2 Momenten, in denen ich ihn weinen gesehen habe. Beide Male taten ihm seine Zimmergenossen leid, denen es sehr viel schlechter ging als ihm damals. So schlecht wie auch ihm dann in seinen letzten Tagen und Stunden…
„Wärst du gerne unsterblich?“, habe ich Papa für ein Schulprojekt einmal gefragt: Er antwortete in der gewählten, feinen Sprache, die er gerne nutzte um seinen Worten Gewicht zu verleihen: „Nein. Unsterblich im Sinne von „gottgleich“ ist für mich unvorstellbar. Der Gedanke, von der irdischen Bühne niemals abtreten zu können oder zu dürfen übersteigt mein Vorstellungsvermögen.“
Zuletzt möchte ich euch allen noch unseren, und vor allem Werners Dank sagen. Eure Besuche, netten Worte, mitfühlende Nachrichten, Anrufe, eure Musik, euer Lachen über seine Storys über die Hunde, den Opa und seinen Kampf gegen die Leukämie, haben ihm sehr gut getan und die letzten 2 Jahre etwas leichter gemacht.
Wenn man seine Texte liest, wird einem bewusst, wie wichtig ihm das soziale Umfeld war.
„It is not the years in your life but the life in your years that counts.“ – oder „Nicht die Jahre in unserem Leben zählen, sondern das Leben in unseren Jahren“.
Wenn es nach diesem Zitat geht, war mein Papa auf der sicheren Seite. Dank seiner Freunde, seiner Familie, seiner Reisen, seiner Musik, seinem Garten, seinen Hunden, seiner Gemütlichkeit und Genügsamkeit…
Das Leben ist vergänglich, Werners Baum aber wird wachsen.
