Leukämie ist Scheiße! Teil 36

Meine Krankengeschichte ist (noch) keine Love Story.
Mein Blutbild ist (oft) kein Rembrandt.
Mein Blutdruck und der Ruhepuls sind (häufig) eine Hochschaubahn.

 

Im Laufe der Zeit wird alles zur Routine – auch die Leukämie resp. deren Behandlung: Ambulanz, (im Regelfall zwei Mal pro Woche außer es geht mir zwischendurch sehr schlecht), Blutentnahme, 18J Tagesklinik, Warten auf das Blutbild, Entscheidung der weiteren Vorgangsweise (meist Prof. Sillaber, manchmal Prof. Füreder) – nächsten Termin für Vidaza-Zyklus festlegen, Ratiograstim ja oder nein (=Leukozytendoping), Blutkonserven, Thrombozyteninfusion  – ich werde mich also in der Folge auf Ereignisse außerhalb der Norm beschränken, die mit meiner Malaise zusammenhängen.

Es war also, wie zuletzt berichtet, der Karsamstag, 15.4.17, einigermaßen turbulent – somit hatten wir uns einen ruhigen, erholsamen Ostersonntag verdient. Der Montag war ebenfalls nicht aufregend – Norbert-Opa war zum Essen da, und nach der üblichen Mittagsrast besuchten wir das Zeckenparadies Laaer Wald. Die Hundsis waren wie zumeist an Wochenenden bei Regina und Allard; die hätten, so wie in den St. Marxer Friedhof, auch hier eh nicht hineindürfen.

Der folgende Mittwoch, 19.April war jener legendäre Tag, an dem wetterbedingt der Straßenverkehr in Österreich zum Erliegen kam – regionale Neuschneemengen bis zu einem Meter und darüber waren kaum zu bewältigen. In Wien gab es Graupel- und Schneeschauer, das Thermometer zeigte um neun Uhr früh 2°C. Als ich die Hundsis um 10 Uhr zum Gassigehen einlud, schlug mir deren schiere passive Resistenz entgegen – wieso sie von der prekären Wettersituation wussten oder sie jedenfalls erahnten, bleibt ein Rätsel…

Die beste Sissi von allen besuchte ihren Vater in seiner Wohnung im zweiten Bezirk und kam in beiden Fahrtrichtungen auf der Tangente in den Genuss von Jahrhundertstaus. Vor Ort musste sie feststellen, dass die dort für Heizung und Warmwasser zuständige Therme nicht funktionierte; die Reparatur würde ein paar Tage dauern – angesichts der herrschenden Temperatur eine sehr unangenehme Geschichte. Gleich fiel ihr als der in unserem Gartenhaus gelagerte elektrische Ölradiator ein, den sie als Überbrückung am nächsten Tag anliefern wird.

Für Donnerstag, den 20. April hatte unsere Nachbarin Ann Murray, die Witwe des auf so tragische Weise tödlich verunglückten Musikprofessors Gordon Murray, ein Hauskonzert für ausgewählte Gäste angesetzt. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, nach dem für den nächsten Tag angesetzten Begräbnis zum Leichenschmaus zu bitten; angesichts der großen Personenzahl entschloss sie sich zu deren Aufteilung, zumal viele Musiker gebeten hatten, zu Ehren des Verstorbenen aufspielen zu dürfen.

Gerne waren wir der Einladung gefolgt und fanden uns gegen 19h00 in der Nachbarwohnung ein, wo schon viele Gäste aus aller Welt anwesend waren, uns zum Gutteil nicht bekannt. Für Speis und Trank war gesorgt, nach und nach trafen Leute ein, darunter auch Ann’s Tochter Catherine mit ihrem Ehemann, die an dem Abend direkt aus Kanada angekommen ist; die zweite Tochter Charlotte war bereits am Vortag eingetroffen. Als mit etwa vierzig Personen die Anzahl der Erwarteten vollständig war, bat Ann in den Salon zum Konzert.
Für fast alle Zuhörer standen Sitzplätze zur Verfügung – wir selbst hatten noch ein paar Sessel mitgebracht. Auf dem Programm stand Barockmusik von Bach und Telemann, viel unbluesiger geht’s nicht. Immerhin sahen und hörten wir zum ersten Mal eine echte Stradivari aus dem 18. Jahrhundert, von der Sissi feststellte, dass sie schlecht klang. Dies scheint aber vor allem damit zu tun gehabt zu haben, dass der Benützer des Fiedelbogens kein Menuhin war. Daneben hörten wir, einzeln oder in verschiedenen Formationen, zwei Cembali, ein Cello und eine Viola da Gamba, die Kniegeige, ein interessantes Instrument, das wir ebenfalls zum ersten Mal sahen und hörten. Mit einem etwas kleineren Korpus als das Cello hat es Bünde am Hals (also nicht so wie die ÖVP, die bekanntlich auch Bünde am Hals hat) und sechs Saiten; man kann sie zwischen den Knien halten (daher der Name). Die aus dem 17. Jahrhundert stammende Kniegeige wurde von einer Dame virtuos gespielt; ihr Klang ist dem des Cellos nicht unähnlich. Insgesamt kamen mehrere wertvolle, historische Instrumente zum Einsatz, die viele Experten zum Staunen gebracht hätten.

Gegen zehn wurde ich müde und verabschiedete mich als einer der Ersten. Sissi blieb noch um Einiges länger, um mit Charlotte und Catherine über alte Zeiten zu plaudern, als beide Murray-Töchter noch Kinder und unsere Nachbarn waren, ehe sie wieder in die Heimat ihrer Eltern Kanada übersiedelten.

Mit Systole 132, Diastole 68 und Puls 72 waren um 11 Uhr meine Werte besser als erwartet; die Müdigkeit hatte vielleicht mit der mir ungewohnten Musik zu tun, der ich intellektuell leider nicht gewachsen bin. Gute Nacht!

 

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