Werner Simon und seine Leidenschaft (19. Okt. 1944 – 16.1.2018)
Es ist schwer in kurzer Zeit Werners Geschichte im Bezug auf seine geliebte Musik zu erzählen, ich versuche an Hand einiger Episoden sein leidenschaftliches Lieblingshobby zu schildern.
Beginnen wir in den 50ern, eine seiner ersten Singles war von Little Richard mit dem uns allen bekannten Song „Lucille“ – dazu das damalige Kommentar von Werners Papa: „Wos is des für ein narrischer Pforrer“.
In den 1960ern ging’s dann los mit den ersten Langspielplatten….
Werner hat als Ferialpraktikant in den Sommerferien bei einer Baufirma gearbeitet und ein paar Schilling verdient, am Weg zur Baustellen war ein Elektro-Ramschladen mit einem Portraitfoto von Count Basie in der Auslage, Werner war davon fasziniert und schreibt dazu folgende Geschichte:
„Naiv wie ich war ging ich davon aus, dass Plattengeschäfte wohl sortiert sein würden, und erkundigte mich nach Tonträgern Basie’s. „Bitte wos wüst du?“, fragte mich die mürrisch dreinschauende, ältliche Verkäuferin, wohl auch die Inhaberin des Geschäfts. „Schallplatten von Count Basie“ entgegnete ich zaghaft. „Von wem? Kaunt Besi? Wer is des? Den kenn i net!“ „Das ist der, von dem Sie ein Portraitfoto in der Auslage stehen haben“. „Ah der! Na, von den bladen Neger hob i nix“. Einerseits enttäuscht, andererseits erleichtert wollte ich mich schon zur Türe hin umdrehen, als mir im schwach bestückten Regal der Rücken einer Box ins Auge sprang. „Spirituals To Swing“ konnte ich erkennen, und ich bat, mir das Ding anschauen zu dürfen. Madame machte keinen besonders erfreuten Eindruck, offenbar konnte sie sich nicht vorstellen, dass irgendjemand ausgerechnet daran Interesse haben könnte, wo sie doch großartige Scheiben etwa von Peter Alexander, Vico Torriani oder Catarina Valente lagernd hatte. Zögerlich nahm sie das Gewünschte aus der Stellage und legte es vor mir auf den Tresen. „John Hammond’s Spirituals to Swing, the Legendary Carnegie Hall Concerts of 1938/9“ war zu lesen, und dazu auf dem Deckel viele Namen, von denen mir damals nur einige ein Begriff waren, darunter natürlich auch das „Count Basie Original Orchestra“.
Die nette Dame hatte also doch etwas „von den bladen Neger“, nur war sie völlig ahnungslos.
Die Schachtel aufklappend fand ich zunächst vier Seiten Linernotes und dahinter zwei Langspielplatten in genähten(!) Innenhüllen vor. Viel Zeit zum Studieren der Infoblätter hatte ich nicht, weil die Verkäuferin immer ungeduldiger wurde und dies mit immer finsterer werdendem G’schau deutlich signalisierte. Wahrscheinlich konnte sie sich kaum vorstellen, dass ein junger Mensch wie ich ihre Kassa zum Klingeln bringen würde. Tatsächlich war ich schwer am Wanken – einerseits würde mich der Kauf des Doppelalbums 320 Schilling kosten, also einen ganzen Wochenlohn schwerer Frohn, andererseits musste ich es allein schon wegen Basie haben. Als ich dann noch die Namen von Ammons, Johnson und Lewis las wurde ich endgültig schwach und schlug zu. An den Aufschrei meiner Eltern dachte ich zu jenem Zeitpunkt nicht, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würden sie mich als übergeschnappt bezeichnen. Mit spitzen Fingern legte ich das Geld hin, um einen Preisnachlass traute ich mich nicht zu fragen. Weil ein geeignetes Sackerl scheinbar nicht zur Verfügung stand, nahm ich die Kostbarkeit unter den Arm und ging eilig heim.“
In den nächsten Jahren hat Werner seine Gehälter und Löhne zusammengespart um z.B. bei Schallplatten Brigitte LPs zu kaufen so dass sich bis heute über 4000 Schallplatten zusammengesammelt haben – also liebe Familie Simon, da habt ihr jetzt einiges zu hören und aufzuarbeiten.
Werner ist vom Rock´n’Roller zum Jazz- und Bluesliebhaber mutiert und hat sich auf die schwarzen Musiker spezialisiert, vielleicht weil die grantige mürrische Verkäuferin den sozialen Knopf bei Werner gedrückt hatte?! Es folgte das Studium der Historie der Blues und Jazzwelt und das Lesen von hunderten einschlägigen Büchern, das war Werners Alltag lange bevor er mit Sissi eine Liaison eingegangen ist.
Wir springen ein paar Jahre weiter in denen sich Werner zu einem Blueslexikon auf zwei Beinen entwickelte…
Seit seinem Besuch bei der Eröffnung des Wiener „Jazzland“ folgten weitere unzählige Konzertbesuche in kleinen Clubs. Große Hallen waren nur einen Besuch wert wenn seinen Heroes in Wien waren, dort hat er backstage zahllose Gespräche und Interviews geführt z.B. mit Lionel Hampton, Dave Bartholomew, Fats Domino u.v.m. Den Beweis liefert die Fotowand in seinem Musik(Wohn)-Zimmer das aus allen Nähten platzt, vor lauter Schallplatten CDs, Büchern und Fotos.
Übrigens hat er sein Wissen leidenschaftlich gerne an Vereinsabenden von BLUESimon weitergegeben und sich davor noch tiefer in Spezialthemen eingearbeitet.
Werner war berühmt für seine Ruhe, nur seine Kinder konnten ihn eigentlich mit einer Sache aus der Contenance bringen, wenn sie bei Parties seinen Schallplattenspieler verwendeten und dabei den Tonabnehmer zerstörten!
Es war am 9.10.2004 bei Werners 60. Geburtstagsfest mit Verwandten und Freunden ……was alle außer ihm wussten war, dass er wenige Tage später ins Flugzeug nach New Orleans einsteigen würde und – dass drei Freundinnen ihm als „Geschenk“ Erik Trauner und Siggi Fassl also „The Wizards of Blues“ überreichen würden, besser gesagt die Beiden für dieses schöne Fest engagiert hatten.
Es war eine lange Nacht im alten Saal des Restaurant Sperl im 4. Bezirk…. mit herrlicher Musik, ganz nach Werners Geschmack. Alle Gäste fühlten sich wohl, zu fortgeschrittener Stunde kam das Gespräch irgendwie auf die Schönheit des Saales und das gute Essen… dabei fiel der entscheidende Satz aus Erik Trauners Mund: „Sissi – moch wos!“ BLUESimon war geboren!
In Folge hat Werners Pensionierung 2005 sein Hobby ausarten lassen! Hilfreich in der ersten Zeit waren die vielen Musikerfreundschaften die immer mehr wurden und sich internationalisierten!
Eines meiner persönlichen Konzert-Highlights war das erste Unplugged-Konzert der Mojo Blues Band am 21.April 2006 – ein zum Bersten gefüllter Wirtshaussaal mit den Musikern nicht auf der Bühne sondern mitten im Publikum, mit einem sehr nervösen Charlie Furthner an Piano und Akkordeon, mit meiner Wenigkeit als Drummer UND mit einem echten Stromausfall, es wurde komplett ohne Strom unter Kerzenlicht weiter musiziert…. einfach unvergesslich!!!
Die New Orleans Reise hat seine Liebe zu den Pianisten dieser Musikmetropole wohl noch mehr geweckt, da waren Namen wie Prof. Longhair, Dr. John, Fats Domino und einem der ausschaut wie ein „Popferdl“, noch dazu Engländer ist – Diz Watson. Beim Erwähnen dieser Namen haben Werners Augen zu leuchten begonnen.
Es begann ein reger Austausch mit den heimischen Musikern, der Vereinsaufbau war schnell gemacht und es ging gleich los mit einem Gewurl an Musikern und der Suche nach Terminen.
Lokale wie Davis, Blues unterm Taubenschlag, Local Bar, Headquarter und Gemischter Satz wurden heiß gemacht für unsere Musik…
Oftmals ist den Musikern auf der Bühne ein gespielter Titel nicht eingefallen. Werner war zur Stelle, wusste nicht nur Titel und Komponist, er hatte auch allerlei Informationen parat und konnte diese charmant und mit Schalk im Nacken wiedergeben.
In der neueren Zeit hat er z.B. zu einem jungen österreichischen Bluesmusiker gesagt:
„Du spielst so gut, aber deiner Musik bin ich intellektuell nicht gewachsen!“
Besuche in seinem heimischen Archivar waren immer ein Blues-Kaffekränzchen in offener, sympathischer Atmosphäre mit neidloser Verneigung vor unseren gemeinsamen Vorbildern.
Er hatte ein großes Herz für uns Musiker, die Betreuung auf der Bühne war professionell und die Abrechnungen sind immer zu unseren Gunsten abgelaufen.
Ich war am Do 7.1.2016 bei ihm im AKH, ich glaube das war sein erster großer Spitalsaufenthalt und einer meiner ersteren Sätze war: „so eine Scheiße“ was anderes ist mir nicht eingefallen. Das dürfte auch Werner zum Titel seines öffentlichen Tagebuchs, in der heutigen Internetsprache: öffentlichen Blogs, inspiriert haben. Die restliche Besuchszeit galt natürlich unserer Musik und deren Künstler.
Man findet in seinen 68 Tagebuch-Folgen nicht nur kuriose Geschichten rund um die Atmosphäre des AKH sondern immer wieder Niederschriften zu unserer Musik.
Eines der letzten großen Projekte war voriges Jahr das Finalisieren und Digitalisieren seiner mit Schreibmaschine geschriebenen Diskografien.
Wir wünschen ihm dass er seine geliebte Musik im Jenseits, in welcher Form auch immer, weiter genießen darf.
Als meine Enkelkinder von Werners Tod erfahren haben kam spontan der berührende Satz aus ihrem Munde: „Das war doch der alte liebe Blues Herr“!
Mit solchen guten Gedanken möchten wir Werner nach dem nächsten Lied „Silver City“ zu seinem ausgesuchten Baum begleiten…
Menschen mit Herz wie selten gibt ´s das. Sie gehen viel zu früh oder besser gesagt sie bleiben zu kurz!
Er war da und er wurde bemerkt mal laut mal leise – was aber viel wichtiger ist er bemerkte die Anderen und
lebte ein erfülltes Leben das kann auch jemand spüren, der ihn nicht persönlich kannte…
DANKE für diese lieben, sehr passenden Worte!!!