Einer liebgewordenen Tradition folgend fand sich die Familie so wie jedes Jahr einmal in der Latifundie am neuen Feldsee ein, die dem Vater der besten Sissi von allen gehört, der logischerweise auch der Großvater von Regina und Erik und mein Schwiegervater ist – in der Folge der Einfachheit halber Opa genannt.
Wie immer war es nicht einfach gewesen, einen Termin zu finden, an dem alle Beteiligten verfügbar und willens waren, den Tag gemeinsam zu verbringen. Zufällig war Regina auf einer Radtour mit einer Freundin in der Gegend unterwegs, und Erik konnte seine Verpflichtungen (Skateboardsporteln, Videospiele spielen, Freunde treffen etc.) kurzfristig verschieben.
Traditionell das Treffen beim Heurigen zu Mittag (irgendeiner hat immer ausgesteckt), traditionell Kaffee und Kuchen, traditionell der Weg zum nahen See. „Nein“, sprach Opa, „nein, ob beim Strand Hunde erlaubt sind, weiß ich nicht. Früher war es verboten und danach nicht gestattet, aber wie es heute ist, weiß ich nicht.“
Wie auch immer, Probieren geht bekanntlich über Studieren, also kurzerhand Jago angeleint und hurtig auf zum Wasser, das nur wenige Gehminuten von Opas Grundstück entfernt ist. Vorsichtshalber hielt ich unterwegs nach einschlägigen Verbotstafeln Ausschau, konnte aber keine entdecken. Allerdings kamen mir die Blicke uns begegnender Badegäste seltsam vor. Entweder hatten diese nie zuvor einen Hund gesehen, oder wunderten sie sich etwa, einen solchen in Richtung Privatstrand traben zu sehen? Zwei ältere Damen fragten mich, ob denn Hunde am Strand erlaubt seien? Wahrheitsgemäß erklärte ich, mir sei nichts Gegenteiliges bekannt, und die beiden entfernten sich eilig, wahrscheinlich um ihre eigenen Hunde zu holen.
Beim Wasser angekommen blieben Sissi und ich zunächst in angemessener Entfernung auf einer Bank sitzen, erstere weil sie nicht der größte Fan des Badevergnügens ist, und letzterer, um das Szenario zu beobachten und allfällige Bemerkungen und Kommentare anderer Badender zu registrieren. Das Jungvolk samt Hund hielt sich nicht lange auf und strebte alsbald dem See zu, den widerstrebenden Jago an der Leine hinterherziehend. Auch Opa fackelte nicht lange und warf sich in die Fluten. Regina, die herzlose, zog, zerrte und trug schließlich den Hund ins Wasser, der sofort unter Beweis stellte, dass er schwimmen kann aber nicht will – er suchte sofort das Ufer auf, um sich kräftig mehrmals zu schütteln.
Die Protestgesänge anderer Gäste hatten in der Zwischenzeit nicht auf sich warten gelassen. Ob wir denn nichts vom Hundeverbot wissen, und warum wir uns nicht daran halten, und sie hätten gerne ihre eigenen Hunde auch mit dabei, und wie kommt man dazu, dass die Viecher in den See pinkeln (offenbar ein Privileg menschlicher Schwimmer) usw. Einwände unsererseits galten nicht, schließlich sei das im Esterhazy´schen Pachtvertrag eindeutig festgeschrieben.
„Wo denn“, erlaubte ich mir zu fragen, „Verbotstafeln gibt es keine, und das schwarze Brett gibt auch keine Auskünfte“. „Es steht im Pachtvertrag“, half ein anderer aus, „den sollte Ihr Gastgeber doch kennen“. Leider kannte den unser, an Alzheimer leidender Opa nicht auswendig, Sissi und ich hatten dieses Dokument auch noch nie zu Gesicht gekriegt…
Wie auch immer, als wenig streitbare, friedfertige Bürger schnappte ich den sich noch immer schütteltenden Jago, der einerseits glücklich war, sich vom gefährlichen Nass zu entfernen, andererseits aber ungern Regina und Erik zurückließ. Bis heute ist er der festen Überzeugung, Wasser ist nur zum Saufen da, einen anderen Zweck kann er sich nicht vorstellen.
Auf dem Rückweg begegnete ich noch einem grimmig dreinschauenden Radfahrer, der offenbar seine Funktion als mittlerer Sheriff oder unterer Wesir ernst nahm und sich als Nummer 14 in der Liste der Ermahner eintrug, wofür ihm mein ewiger Dank gewiss ist.
Nachsatz: Durch akribische Recherchen unter Zuhilfenahme verschiedener Dedekteien, der Wega, der Cobra, der Vorratsdatenspeicherung, forensischer Untersuchungen und anderer Hilfsmittel, gelang es der aufgebrachten Menge, den gastgebenden Pächter als unseren Opa zu entlarven. Dieser wurde alsbald von einem oberen Sheriff oder Supervisor-Wesir angerufen, strengstens gerügt und ermahnt, in Hinkunft seinen Hund gefälligst zu Hause zu lassen.
Dass dies bei einem 84-jährigen Mann der alten obrigkeitsfürchtigen Generation der noch dazu Alzheimerpatient ist, einige Aufregung verursachte, brauche ich wohl nicht zu betonen… so nett sind die Leute am neuen Feldsee!
Jago, der Schrecken des neuen Feldsees
